Westpapua: Mit Pfeil und Bogen gegen Indonesien

Westpapua: Mit Pfeil und Bogen gegen Indonesien
Bianca Blei
29. Jänner 2015, 05:30
Bereits seit mehr als 50 Jahren kämpfen die Indigenen der rohstoffreichen Region für ihre Unabhängigkeit

Jesaya Serewi war Student, als die Soldaten der indonesischen Armee alle Schulen in seiner Heimat umstellten und die Schüler zur Flucht zwangen. Serewi rannte, so schnell er konnte, in den Dschungel und lebte eine Zeitlang in der Wildnis, versteckt vor dem hochgerüsteten Heer der Besatzungsmacht. Der heute 65-Jährige wurde im Jahr 1949 geboren. Es war das Jahr, als Westpapua von Indonesien als Teil des früheren Niederländisch-Ostindien annektiert wurde. Aus Ostpapua wurde nach der Unabhängigkeit von den Niederlanden im selben Jahr Papua-Neuguinea. Die Insel wurde quasi in der Mitte geteilt.

Zur Zeit von Serewis Flucht in den Dschungel wurde die Unabhängigkeitswahl in Westpapua durchgeführt. Die Vereinten Nationen hatten Indonesien dazu verpflichtetet. Doch anstatt freie Wahlen abzuhalten, nominierte die Besatzungsmacht kurzerhand 1.025 Personen, die sich öffentlich zu Indonesien bekennen mussten. Sechs Wochen lang demonstrierte die Armee ihre Macht auf der geteilten Insel.

Krokodilshaut an chinesische Geschäftsmänner

"Diese Wahl hätte von der Welt niemals anerkannt werden dürfen", sagt Richard Skretteberg, der für das Norwegian Refugee Council von November bis Dezember des Vorjahres mit Flüchtlingen aus Westpapua gesprochen hat. Doch die Welt habe damals weggesehen und tue es noch immer.

Währenddessen kehrte Jesaya Serewi aus dem Dschungel zurück und wurde im Jahr 1974 von der indonesischen Armee rekrutiert, um gegen sein eigenes Volk zu kämpfen. Nach einem Jahr gelang ihm die Flucht, und er kehrte in die Wälder zurück, wo er Krokodilshaut an chinesische Geschäftsleute verkaufte, um zu überleben.

Nach einem halben Jahr war es ihm genug, und er schloss sich der Organisasi Papua Merdeka an – der Organisation für ein freies Papua, den Separatisten. Als während eines Kampfes sein Kommandeur verwundet wurde, ergab sich Serewi und wurde von der indonesischen Armee in Gefangenschaft gefoltert. Nach einer erneuten Flucht kämpfte er noch bis ins Jahr 1989 für die Separatisten, ehe er über die Grenze nach Papua-Neuguinea floh, wo er heute mit rund 10.000 weiteren Flüchtlingen lebt.

Menschenrechtsverletzungen

Seit mehr als 50 Jahren besetzt Indonesien die rohstoffreiche Insel mit rund 15.000 Soldaten und 10.000 Polizisten. Dieser Armee gegenüber stehen etwa 1.100 Widerstandskämpfer, die teilweise noch immer mit Pfeil und Bogen den Soldaten entgegentreten. Internationale Organisationen wie Amnesty International prangern immer wieder Menschenrechtsverletzungen durch die Besatzer an.

Erst Anfang Jänner sollen Polizisten ein Dorf an der Südwestküste der Insel überfallen, ein Spruchband für die Unabhängigkeit Westpapuas gefunden und hundert Dorfbewohner festgenommen haben. Grund dafür soll der Mord an zwei Polizisten gewesen sein, den Indonesien den Separatisten anlastet. NGOs appellierten an die Behörden, die Gefangenen nicht – wie oft zuvor – zu misshandeln und zu foltern.

Meinungsfreiheit existiert quasi nicht. Wer die "Morgensternfahne" des unabhängigen Westpapua hisst, riskiert, von der Polizei festgenommen, vor Gericht gestellt und bis zu 15 Jahre eingesperrt zu werden. Offiziell zählen die 260 Volksgruppen des besetzten Landes für Indonesien auch nicht als Indigene, sondern als ethnische Minderheit. So genießen sie keine gesonderten Rechte. Zur Minderheit wurden sie von der Regierung in Jakarta selbst gemacht. Umsiedlungsprojekte vor allem von der übervölkerten indonesischen Hauptinsel Java aus haben aus dem einst christlich dominierten Westpapua ein immer stärker muslimisches Gebiet gemacht. Insgesamt 10.000 Flüchtlinge leben weiterhin über der Grenze in Papua-Neuguinea.

Hilfe von Australien

Der Sprecher des United Liberation Movement for West Papua, Benny Wenda, appellierte in einem Kommentar im englischen "Guardian" im vergangenen Jahr an das Nachbarland Australien. Darin erinnerte an die Indigenen, die während des Zweiten Weltkriegs an der Seite Australiens kämpften und eben nun im Gegenzug Hilfe benötigten. Mehr als eine halbe Million Einwohner Westpapuas seien seit 1960 getötet worden. Wenda zieht einen Vergleich zu der Besetzung Osttimors durch Indonesien, wo bis zur Unabhängigkeit im Jahr 2002 ein Drittel der Bevölkerung durch die indonesische Armee getötet wurde. Laut dem Flüchtlingsaktivisten Skretteberg will es sich die Großmacht Australien aber nicht mit dem größten muslimischen Land der Welt verscherzen: "Indonesien ist ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den Terror."

Die Hoffnungen ruhen im Moment auf dem neu gewählten Präsidenten Joko Widodo, der als "indonesischer Obama" gehandelt wird. Er sagte in einer Rede, dass er die Lösung des Konflikts um Westpapua zu seiner Priorität machen will. Für Skretteberg könnte Widodo aber an der Realpolitik scheitern. Denn noch immer haben die Mitglieder der früheren politischen Elite in vielen Bereichen das Sagen. "Die Besetzung Westpapuas wird sich nicht so schnell ändern lassen", sagt Skretteberg. "Wichtig wäre aber zuerst, dass Meinungsfreiheit zugelassen und Journalisten und Hilfsarbeiter ins Land gelassen werden, um über die Situation zu berichten und zu helfen." Erst im August des Vorjahrs waren zwei französische Dokumentarfilmer festgenommen worden, weil sie ohne Erlaubnis der Regierung in dem besetzten Gebiet Aufnahmen gemacht hatten. (Bianca Blei, derStandard.at, 28.1.2015)

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