Sumatra: Deutsche Aussteigerin eröffnet Hotel

Sumatra: Deutsche Aussteigerin eröffnet Hotel

Abrupter Karrierewechsel Sehnsucht nach Sumatra

Von Heike Klovert
Ausgewandert nach Sumatra: Eine Reise veränderte mein Leben Fotos Marcel Klovert

Kanzlei im Ruhrpott? Nervige Klienten? Nein danke! Eine Reise nach Indonesien lässt eine Juristin alle Karrierepläne über den Haufen werfen. Wo früher Kannibalen ihre Feinde verspeisten, führt sie heute ein eigenes Hotel.

Wenn ihr niemand vom größten Kratersee der Welt erzählt hätte, dessen kühles Wasser unter der Sonne Sumatras glitzert und dessen Ufer wie die Rücken grüner Urzeitriesen aussehen, säße Annette Horschmann jetzt wohl an einem Schreibtisch in einer Bochumer Anwaltskanzlei. Sie würde über Gutachten brüten oder Mahnungen verschicken. Doch in ihrem Leben rumorte die Frage "was wäre, wenn?"

Es war kurz nach dem Studium, als die Juristin vom Tobasee in Indonesien hörte. Sie hatte gerade ihr Staatsexamen bestanden und lag in Thailand am Strand, um all die Paragrafen zu vergessen, die in ihrem Kopf schwirrten. Am Lagerfeuer erzählten ihr Rucksackreisende vom Volk der Batak, die in winzigen Häusern mit Zipfelmützendächern wohnten. "Das weckte in mir Sehnsucht", erinnert sich Horschmann. Eigentlich wollte sie weiter nach Australien, doch sie warf kurzfristig ihre Reiseplanung um und flog nach Sumatra.

Und änderte ihr ganzes Leben.

Heute ist Horschmann 47 Jahre alt, trägt weite Shirts, enge Hosen. Auf ihrem Kopf wippen ungezähmte, braune Locken. Sie hat nie Hosenanzüge getragen, musste sich nie mit nervigen Klienten rumschlagen: Denn Horschmann hat gleich am ersten Abend auf der Insel den Mann fürs Leben getroffen, einen Einheimischen. Sie ist auf Samosir geblieben, führt dort heute erfolgreich ein Hotel. "Und ich verdiene mehr als mancher deutscher Jurist", sagt sie.

Dunkles Holz, viel Licht, grob gezimmerte Leitern, Balkone mit Seeblick: Die Juristin lebt den Traum, den sie einst am Lagerfeuer in Thailand träumte. Und teilt ihn mit ihren Gästen: In renovierten Holz-Skelettbauten mit gebogenen Strohdächern vermietet sie 30 Zimmer. Dort übernachten Touristen, die einst wie sie mit Zelt und Rucksack unterwegs waren, anschließend aber in den Bürostress und die Hektik des Alltags zurückkehrten. Vor allem Holländer und Deutsche zieht es heute zum Sehnsuchtsort ihrer Jugend zurück. Sie buchen für 19 bis 40 Euro die Nacht eine "Idylle auf Zeit".

Horschmann selbst lebt in einer kleinen Wohnung hinter dem Restaurant. Zwei ihrer Kinder besuchen Internate auf dem Festland, der älteste Sohn studiert Tourismus auf Java.

Die Angestellten arbeiten nur dann, wenn's die Chefin auch tut

Doch auch wenn das Leben so leicht scheint, geschenkt wurde Annette Horschmann nichts. Ihre Tage haben zwölf Stunden, oft mehr. Und sie musste viel lernen: zum Beispiel, dass ihre zwei Dutzend Angestellte nur dann arbeiten, wenn sie selber auch mit anpackt. Horschmann: "Sie wachen, wenn die Chefin wacht, und schlafen, wenn die Chefin schläft." Inzwischen spricht die Frau aus dem Sauerland neben Englisch fließend Batak und Indonesisch.

Wo heute ein vegetarisches Restaurant steht, war früher Sumpf. Gräben mussten gezogen werden, Wasser wurde abgeleitet, überall schwirrten Moskitos. Als Gäste nach Unterkünften fragten, kamen die ersten Hütten dazu. Es folgten schwere Jahre: die Asienkrise 1997/98, der Bombenanschlag in Kuta auf Bali 2002, der andauernde Bürgerkrieg im nahen Aceh und der Tsunami 2004. "Wir haben uns trotzdem behauptet, irgendwie ging es immer weiter", sagt Horschmann. Sie hat ihren Schritt nie bereut: "Ich bin gern hier, in Deutschland fühle ich mich nur noch als Gast."

Immerhin, keine Kannibalen

Trotzdem sehnt sie sich manchmal in die Heimat zurück. Etwa, wenn es wieder Streit in der neuen Verwandtschaft gibt. Zum Beispiel mit der Schwägerin, die keine Fehler vergibt. "Einmal haben wir sechs Monate lang nicht miteinander gesprochen, weil ich ihr einen Lippenstift aus Deutschland mitgebracht hatte," erzählt Horschmann. "Sie war beleidigt, wollte Schmuck. Da habe ich ihr gesagt: 'Du nervst!'"

Es ist eben auch im Paradies nicht alles Harmonie: Hunderte Jahre lang siedelten die Batak isoliert auf Samosir. Viele Dörfer am See waren verfeindet, Fehler wurden nicht vergessen. Im 19. Jahrhundert bekehrte ein Missionar aus Nordfriesland die Einheimischen zum Christentum. Aber Geisterbeschwörung und Ahnenkult gibt es bis heute.

Horschmann: "Immerhin essen die Batak heute ihre Feinde nicht mehr."

Irgendwann will sie noch einmal ihren Rucksack packen und auf Reisen gehen. "Vielleicht doch noch nach Australien", träumt sie. "Wenn mein Ältester in einigen Jahren den Betrieb übernimmt." Doch nach Sumatra wolle sie auf jeden Fall zurückkehren, sagt Horschmann: "An diesem See möchte ich alt werden."


Der Tobasee auf Sumatra ist der größte Kratersee der Welt. Urlauber besuchen die verträumten Dörfer. Doch es war nicht immer so idyllisch: Noch vor 100 Jahren waren viele Stämme untereinander verfeindet.


Skelettbauten mit gebogenen Strohdächern: Besucher erreichen die "Tabo Cottages" mit dem Schiff. Dort wo heute Hotelgäste urlauben, war früher ein Sumpfgebiet.


Hotelanlage: Vor allem gestresste Holländer und Deutsche buchen eine "Idylle auf Zeit" am Tobasee


Zu teuer für Zelt- und Rucksacktouristen: Eine Übernachtung in den umgebauten Batak-Häusern kostet zwischen 19 und 40 Euro pro Nacht


Bunte Fähre: Regelmäßig pendelt ein kleines Schiff zwischen dem Dörfchen Tuktuk auf Samosir und dem Städtchen Parapat auf dem Festland. Es legt auch an den "Tabo Cottages" von Annette Horschmann an.


Traditionelle Holzhäuser: Das Volk der Batak lebt in Holzhütten mit Zipfelmützendächern

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