Süchtige Kinder: Dihan, 6 Jahre alt, Raucher
Viele Indonesier fangen schon als Grundschüler an zu rauchen. Die Fotoreporterin Michelle Siu hat die Kinder porträtiert.
Dihan Muhamad sieht aus wie ein ganz normaler Erstklässer, der um sieben Uhr morgens darauf wartet, den Weg zur Schule anzutreten: Den Ranzen auf dem Rücken, die Strümpfe bis zu den Knien hochgezogen, hockt er in der Küche seines Elternhauses in einem Dorf auf der indonesischen Insel Java. Dihan trägt seine Schuluniform und eine Schirmmütze auf dem Kopf, doch etwas sprengt die Alltäglichkeit der Szene: Dihan raucht. In der Hand des Sechsjährigen glimmt eine halb gerauchte Filterzigarette - die erste von vielen, die der Junge an diesem Tag konsumieren wird.
Indonesien hat traurige Berühmtheit als das Land der rauchenden Kinder erlangt. Erhebungen des Gesundheitsministeriums in Jakarta zeigen laut einem Bericht der "Jakarta Post", dass jedes Jahr 3,9 Millionen Kinder zwischen 10 und 14 Jahren zu rauchen anfangen. Die Nationale Kommission für den Schutz von Kindern geht davon aus, dass bereits knapp zwei Prozent der indonesischen Kinder ab vier Jahren mit dem Rauchen beginnen. Im Durchschnitt seien kleine Indonesier - es sind vor allem Jungs, die rauchen - sieben Jahre alt, wenn sie zum ersten Mal an Zigaretten ziehen, die in Indonesien üblicherweise mit Nelken parfümiert sind.
Dass Dihan raucht, ist nicht ganz verwunderlich: Für Kinder ist es in Indonesien offenbar leicht, sich Zigaretten zu beschaffen. Als einziges Land in Asien hat der Inselstaat nicht das Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakgebrauchs unterzeichnet. Insgesamt konsumieren etwa ein Drittel der 250 Millionen Einwohner Indonesiens Tabakprodukte und machen es damit zum Land mit einer der größten Raucherpopulationen weltweit.
Mama stillt, Sohn qualmt direkt daneben
Auf diesen Umstand aufmerksam geworden, beschloss die kanadische Fotoreporterin Michelle Siu in den vergangenen Jahren, den rauchenden Kindern Indonesiens nachzuspüren. Ihre Fotoreportage "Marlboro Boys" ist das Ergebnis monatelanger Reisen über die Inseln des Landes. Sie dokumentierte Begegnungen mit Familien wie den Muhamads, die sich keinerlei Sorgen über die Schädlichkeit des Rauchens zu machen scheinen: Ein Foto zeigt, wie Erstklässler Dihan gemütlich auf einem Sessel liegt. Mit einer glimmenden Zigarette in der Hand sieht er zu, wie seine neben ihm sitzende Mutter seinen jüngeren Bruder stillt.
Dass Jungen wie Dihan rauchen wollen und seine Eltern nichts dabei finden, ihn rauchen zu lassen, liegt vor allem daran, dass nur wenige Indonesier den Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und Gesundheitsschäden kennen. Statt aufgeklärt zu werden, sind die Bürger einem Trommelfeuer aus aggressiver Zigarettenwerbung ausgesetzt: Auf Plakatwänden, in Zeitungen, im Fernsehen - allerorts wird für Nikotin geworben. Hauptdarsteller der Clips sind oftmals Teenager. Die großen Tabakkonzerne sponsern zudem Popkonzerte und Sportveranstaltungen. Zigaretten sind billig und werden an den Kiosken auch einzeln verkauft.
Die Macht der Tabakindustrie ist groß. Die Konzerne hätten die Regierung in der Tasche, da sie Milliardenbeträge in Indonesien investierten, sagt Mary Assunta von der Allianz für Tabakkontrolle in Südostasien. "Die Konzerne können politisch Druck ausüben, weil sie Hunderttausenden Tabakbauern deren Produkte abnehmen."
Als 2012 ein Gesetz eingeführt werden sollte, demzufolge Fotos von Raucherlungen und -beinen auf Zigarettenschachteln gedruckt werden sollten, gingen die Farmer wochenlang auf der Straße - was ganz im Sinne der Konzerne war. Das Gesetz ist mittlerweile in Kraft, jedoch bislang offenbar ohne größeren Effekt.
Indonesiens rauchende Kleinkinder waren vor fünf Jahren ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit vorgedrungen. Damals verbreitete sich die Geschichte des zweijährigen Aldi, der 40 Zigaretten am Tag rauchte.
Aktivisten sehen Indonesien auf dem Weg in eine gesundheitliche Katastrophe. Bis zu 50 Prozent der etwa 60 Millionen Raucher in Indonesien werden Assunta zufolge an Krankheiten sterben, die mit dem Rauchen in Zusammenhang stehen. "Und Indonesien ist nicht darauf vorbereitet oder gut genug ausgerüstet, um diese Krise zu bewältigen." Derzeit sterben etwa 200.000 Indonesier jährlich an den Folgen ihres Tabakkonsums.
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