Mythen und Moderne, Ayu Utami und Laksmi Pamuntjak -tabuisierte Vergangenheit.

Mythen und Moderne, Ayu Utami und Laksmi Pamuntjak enthüllen in ihren Romanen Indonesiens tabuisierte Vergangenheit.

Indonesienist Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse und ein Gutteil der Schriftsteller sind weiblich: Herausragende Autorinnen haben seit dem Ende einer jahrzehntelangen Diktatur 1998 die Kulturlandschaft aufgemischt. Sie schreiben über ein Land im Aufbruch, das ein Trauma mit sich trägt: 1965. Das Gespenst des Kommunismus ging in Südost- asien um und verschmolz in Indonesien mit Chinesenhass. Militärs, muslimische Todesschwadronen und Dorfmilizen wüteten, von einer halben bis über einer Million Toten reichen die Schätzungen - der unbekannteste Massenmord des letzten Jahrhunderts.

Im indonesischen Schattentheater geht es um mythische Urkonflikte und den steten Kampf Gut gegen Böse. Foto: John S. Lander/gettyimages

Laksmi Pamuntjak, Javanerin des Jahrgangs 1971, lüftet in "Alle Farben Rot" den Schleier des Verschweigens. Der Roman wurde 2012 von Indonesiens führendem Polit- und Kulturmagazin "Tempo" zum Buch des Jahres gewählt. Rot, die Farbe der Liebe, der Linken, von Feuer, Gefahr und Blut, im Hinduismus aber auch die Farbe der Reinheit, der Freude. Laksmi Pamuntjaks eigener Vorname ist indisch, so wie auch jener der Titelhelden ihres Romans: Amba, eine bereits einem anderen Mann versprochene Studentin verliebt sich 1965 in Bhisma, einen idealistischen Arzt. Im Zuge der Säuberungen verschwindet Bhisma.

Wurzeln der Gräuel
Erst Jahrzehnte später findet Amba den Mut zur Spurensuche. Ihre Reise ist eine Reise gegen das Vergessen, das vordergründig bequemer scheint: persönlich und kollektiv. Die ausgebildete Pianistin Pamuntjak nähert sich dem Thema sinnlich-sensibel, und verschließt sich einfachen Erklärungsmustern. Sie spürt den Wurzeln der Gräuel jener Jahre nicht nur im politischen System nach, sondern geht ihnen buchstäblich auf den Grund: in uns Menschen, und erst dann in der Vereinnahmung durch Mächtige und Ideologien. Unterlegt ist Ambas und Bhismas Geschichte mit dem Mahabharata, dem im synkretistischen Islam Javas weiter lebendigen indischen Epos. Omnipräsent in Puppen- und Schattentheatern, geht es um die Urkonflikte von Göttern und Menschen, um Liebe und Eifersucht, um den steten Kampf Gut gegen Böse, auch in uns selbst.
Pamuntjak ist nicht die einzige erfolgreiche Autorin und ein mutiges Idol einer neuen Generation. "Wenn hier jemand von Literatur spricht, ist immer von Ayu Utami die Rede", weiß Martin Amanshauser, einer der wenigen heimischen Autoren mit Bezug zu Indonesien. Utamis Debütroman "Saman" erschien wenige Tage vor dem Sturz der Suharto-Diktatur 1998 - und wurde zum literarischen Boten der Reformasi, des Wandels zur Demokratie. Mit dem inneren Ringen des jungen katholischen Priesters Saman und seiner Unterstützung von Bauern im Kampf gegen Landraub durch Agrobusiness und Armee verband Utami das Persönliche mit dem Politischen. Mit unverblümter Sprache und provokanten Themen wie weibliche Sexualität, rassische und religiöse Unduldsamkeit wurde sie zur Tabubrecherin in ihrer mehrheitlich muslimischen Heimat.

"Larung" ist die Fortsetzung von "Saman". Utami bleibt ihrer wilden Fabulierkunst treu, die so anregend ist wie der Plot verästelt. In einem Dorf pflegt der Medizinstudent Larung seine Großmutter, die 1965 die verfolgte Familie gerettet hatte und auf Grund magischer Kräfte nicht sterben kann. Erst mittels Gegenzauber kann sie gehen - was man profan auch Sterbehilfe nennen kann.
Nach einem Zeitsprung nach New York mit dem schon aus "Saman" bekannten Personal und Sex-and-the-City-Anklängen kehrt die Handlung nach Indonesien zurück. Saman, der Priester, und der nun Umwelt-engagierte Larung wollen drei Aktivisten bei der Flucht ins Ausland helfen - was für alle tragisch scheitert. Multiperspektivisch verwebt Utami das ländliche Indonesien und die USA. Utami gibt den Menschen Stimmen, den Seelen, den Tieren, sie kommentiert und provoziert. Auch in "Larung" spielt Sex eine Rolle, der Islam, das Christentum, hinduistische Vorstellungen und Geisterglaube.
Utami kombiniert Rationalität mit javanischer Spiritualität, die Teil des "sanften Islam" in Indonesien ist. Doch sie gibt sich keiner Illusion hin, dass Harmonie und Toleranz gesichert sind.
Dogmatismus
Die Reformasi-Bewegung im größten muslimischen Land der Welt ermöglichte nach 1998 einen fast reibungslosen Übergang zur Demokratie, "vor allem im Vergleich zum Arabischen Frühling", sagte Utami im August bei einem Vortrag an der Universität Wien. "Doch die jungen Leute wollen Klarheit. In oberflächlicher Weise können Dogmen das erfüllen." Dogmatismus sei kein mittelalterliches Phänomen. Er passe wunderbar in die Postmoderne. Gegen Fundamentalismus und Gewalt vertritt die Romanautorin, Lyrikerin und Essayistin Ayu Utami eine "kritische Spiritualität". Reli-gion und kritisches Denken schließen sich für sie nicht aus.
Ayu Utami und Laksmi Pamuntjak verbinden die Mythen indonesischer Kultur mit der modernen Welt. Beide sind spannende Entdeckungen aus dem kulturell vielgestaltigen Inselreich.
Laksmi Pamuntjak
Alle Farben Rot
Roman. Deutsch von Martina Heinschke. Ullstein, Berlin 2015, 672 Seiten, 24,70 Euro.
Ayu Utami
Larung
Roman. Deutsch von Peter Sternagel. Horlemann, Berlin 2015, 200 Seiten, 20,50 Euro.
Im indonesischen Schattentheater geht es um mythische Urkonflikte und den steten Kampf Gut gegen Böse. Foto: John S. Lander/gettyimages

Indonesische Bestsellerautorinnen: Ayu Utami (li.) und Laksmi Pamuntjak. Fotos: privat/Horlemann Verlag (li.), H. Scherhaufer

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