Inselstaat gegen Islamismus
In Aceh beten Gläubige für Frieden und gegen Terror. Bisher gilt Indonesien als Hort eines toleranten und friedlichen Islam, doch auch hier versuchen Extremisten Unzufriedene anzuwerben. (Foto: Junaidi Hanafiah/Anadolu
Der IS versucht mit seinen Hassbotschaften auch im bevölkerungsreichsten muslimischen Land Fuß zu fassen. Doch bisher kann sich Indonesien wehren - seine Islamverbände sind im Netz gegen die Extremisten aktiv.
Von Arne Perras, Jakarta
Singapur ist noch einmal davongekommen. Eine Terrorzelle auf der nahegelegenen indonesischen Insel Batam flog Anfang des Monats auf, bevor sie ihren tödlichen Plan ausführen konnte. Die islamistischen Extremisten, die angeblich vom sogenannten Islamischen Staat (IS) gesteuert wurden, wollten mit einer Rakete das Marina Bay Sands Hotel in Schutt und Asche schießen. Dieses spektakuläre Gebäude ist Singapurs ganzer Stolz, es gilt als Symbol für den rapiden Aufstieg zur Wirtschaftsmetropole. Das Bay Sands mit seinen drei Türmen und einem Dach in Form eines Surfbretts lockt als Wahrzeichen Besucher aus aller Welt. Wer möchte, kann ganz oben in einem Pool herumdümpeln, sündhaft teure Cocktails schlürfen und den Blick auf die Skyline genießen. Selbst in Zeiten des Terrors hatte kaum einer damit gerechnet, dass Extremisten versuchen könnten, aus 25 Kilometern Entfernung die schillernden Türme unter Beschuss zu nehmen. Nun herrscht im Stadtstaat Alarmbereitschaft auf allen Ebenen. Singapur gilt seit Langem als sicherste Metropole der Welt, man kann dort Tag und Nacht entspannt herumspazieren, zumindest ohne sich vor Räubern oder Gangstern fürchten zu müssen. Aber vielleicht war es gerade dieser Ruf der völlig abgesicherten Insel, der die Extremisten herausforderte. Die mutmaßlichen Terroristen wurden zwar von indonesischen Kräften festgenommen, ihr Plan wirft jedoch ein Schlaglicht auf die immer vielfältigeren Bedrohungen, auf welche die aufstrebenden Länder Südostasiens reagieren müssen. Der indonesischen Terrorabwehr dürfte dabei eine Schlüsselrolle zukommen, da der IS besonders eifrig versucht, Anhänger aus dem Inselstaat zu rekrutieren.
Bei den Anschlägen 2002 auf Bali wurde Indonesien die Gefahr durch Islamisten bewusst
In Indonesien leben mehr Muslime als in jedem anderen Land der Welt und spätestens seit 2002 auf der Ferieninsel Bali mehr als 200 Menschen bei Anschlägen starben, ist das Problem des islamistischen Terrorismus präsent. Analysten loben häufig, dass Jakartas Anti-Terror-Einheiten ein sehr waches Auge auf die Umtriebe militanter Zellen haben. "Aber das ist nicht genug, um Extremismus in den Griff zu bekommen", glaubt der Religionsgelehrte Amin Abdullah, früherer Vorsitzender des islamischen Verbandes Muhammadyah, unter dessen Schirm sich etwa 20 Millionen gläubige Muslime sammeln. Noch größer ist Nahdlatul Ulama (NU), beide Gruppen bilden riesige Netzwerke, die sich auch um soziale Aufgaben und Erziehung kümmern. Doch wie gehen sie mit den Versuchen des IS um, immer mehr Anhänger zu rekrutieren? "Wir müssen das auf breiter Front bekämpfen", sagt Abdullah. "Wir haben dafür gesellschaftlich auch gute Voraussetzungen, weil unsere Formen des Islam traditionell Toleranz und Pluralismus verpflichtet sind. Das ist kulturell stark verankert, weil wir schon immer darauf angewiesen waren, die Einheit in der Vielfalt zu suchen."
Was Abdullah beschreibt, gilt Analysten häufig als Beleg für die Kraft gemäßigter Strömungen unter den muslimischen Massen in Indonesien. Wenn diese Einschätzungen stimmen, sind das gute Nachrichten für die Welt, dann dürften es Extremisten vom Schlage des IS weiter schwer haben, auf Dauer Fuß zu fassen. Dies zu messen, ist allerdings schwierig. Und tatsächlich dürfte die Gemengelage komplizierter sein, als es das Image vom stets toleranten und friedfertigen indonesischen Islam nahelegt. Spannungen zwischen religiösen Gruppen entladen sich auch hier immer wieder in Gewalt. Und auch Abdullah weiß, dass der IS trotz starker Widerstände in Indonesien Kämpfer rekrutiert, dass junge Leute sich nach Syrien locken lassen, um sich dem Dschihad anzuschließen. Von 500 bis 700 Kämpfern war bis 2015 die Rede. Bei einer Gesamtbevölkerung von 250 Millionen Indonesiern und verglichen mit Tausenden IS-Kämpfern aus Europa gilt dies als relativ kleine Zahl. Vernachlässigen sollte man das Problem aber nicht.
Dass der IS junge Indonesier überhaupt erreicht, liegt vor allem an der Hartnäckigkeit, mit der die Miliz die sozialen Medien für ihre Zwecke nutzt. Einer, der das jeden Tag beobachtet, ist Syafi Ali, Chef der Online-Abteilung von Nahdlatul Ulama, dem größten islamischen Verband des Landes. Ali lässt sich per Skype zuschalten, er bewegt sich selten fort von den Bildschirmen in seinem Büro im Herzen Jakartas. Als Student hat er einst Islamisches Recht studiert, er kennt sich aus mit dem System und hat keine Zweifel, dass die Regeln der Scharia für ein multi-religiöses und multi-ethnisches Land wie Indonesien ungeeignet sind. "Wir wollen einen toleranten friedlichen Islam fördern, dafür sind wir da." Dass die Provinz Aceh im Norden Sumatras die Scharia bereits als Rechtsgrundlage eingeführt hat, irritiert Beobachter häufig. Doch viele Indonesier scheinen dies als Ausnahme von der Regel zu betrachten, es beunruhigt sie nicht weiter.
Was den IS betrifft, beobachtet Ali, dass dessen Internet-Strategie ebenso aggressiv wie professionell nach Indonesien vor-dringt. "Die senden und werben auf allen Kanälen, machen flotte Videos. Und vieles wird direkt ins Indonesische übersetzt." Die Behörden könnten manches stoppen, zum Beispiel einzelne Facebook-Accounts, die Hass und Terrorbotschaften verbreiteten. "Aber am nächsten Tag haben sie schon wieder eine neue Seite aufgemacht." Dennoch lässt sich Ali nicht beirren. "Wir lassen nicht zu, dass diese Hassprediger den Islam für ihre Zwecke kapern", sagt der 41-Jährige. Er gilt als Chef der "Cyber Warriors" von NU, obgleich es diese Abteilung im Verband zumindest offiziell nicht gibt. 500 Helfer hat er in seinem Team, fast alle Freiwillige, die helfen, täglich eigene Botschaften eines friedfertigen Islam ins Netz auszusenden, um dem IS-Material etwas entgegenzusetzen. Die meisten im Team treibe der Idealismus an, bezahlt werden sie nicht. "Ich hoffe aber, dass wir irgendwann Mittel dafür bekommen."
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"Die Gegenwehr im Internet ist gut, man darf den Radikalen nicht einfach das Feld überlassen", sagt auch der Politologe Bahtiar Effendi. Gleichzeitig warnt er aber vor einigen Schwächen im indonesischen Anti-Terror-Kampf. Was er vermisst, ist eine klare nationale Strategie, in der Ziele offen benannt werden und die Bevölkerung vom Staat besser aufgeklärt wird. "Wenn wir ehrlich sind, wissen wir doch recht wenig darüber, wer die Terroristen in unserem Land eigentlich sind." Er erzählt von Warnungen durch den Staat, dass einzelne Religionsschulen den Extremismus nährten. "Man hört davon, aber später erfahren wir darüber nichts mehr." Auch erkennt Effendi keinerlei Einigkeit innerhalb der religiösen Gruppen über die Frage, was genau als radikal eingestuft werden sollte. "Wenn man das aber nicht weiß, wird es schwer, auf breiter Front keimenden Extremismus einzudämmen."
Eine stabile Ökonomie halten viele Expterten für die beste Strategie gegen Radikalisierung
Nach Ansicht mancher Analysten muss man sogar damit rechnen, dass es im Sicherheitsapparat Kräfte gibt, die ein gewisses Maß an Terrorbedrohung für nützlich erachten. Es rechtfertige, dass der Staat viel Geld locker macht für Streitkräfte und Sonderkommandos. Der Terror gibt der Armee als Wächter über die Sicherheit Gewicht. Würde der Feind hingegen als harmlos gelten, hätte es die Armee schwerer, in der nationalen Debatte ein großes Budget für sich zu beanspruchen.
Eine der effektivsten Anti-Terror-Strategien sieht Bahtiar in einer soliden Ökonomie, die Arbeitsplätze schafft. "Wenn Sie sich die Vita einzelner Terroristen in unserm Land ansehen, dann fällt auf, dass ihnen fast immer die wirtschaftliche Perspektive fehlte." Viele zog es nach Syrien, weil ihnen dort ein gutes Einkommen versprochen wurde. "Wer sich zu Hause eine Existenz aufbauen kann, ist für solche falschen Verlockungen viel weniger anfällig", sagt Bahtiar. Im Umkehrschluss gilt aber auch: Wenn die Wirtschaft schwächelt und Jobs wegbrechen, könnte das die Risiken der Radikalisierung selbst in einem Land erhöhen, das traditionell mit großem Stolz auf seine Vielfalt blickt.
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