Indonesischen Kollektiv KUNCI in Yogyakarta

Curating Under Pressure III
Der Tanz von Theorie und Praxis

Located in Yogyakarta, Kollektiv KUNCI

Syafiatudina, Mitglied des indonesischen Kollektivs KUNCI, im Gespräch mit Susanne Boecker

In jüngster Zeit sind zahlreiche Biennalen unter politischen Druck geraten, viele haben finanzielle oder auch strukturelle Probleme. Kuratoren von Biennalen und anderen Kunst-Institutionen müssen lernen, mit dem Wandel umzugehen und in Situationen, in denen sich vieles ändert, entsprechende Projekte entwickeln. Das ist eine große Herausforderung.

Kunstforum greift dieses Thema auf und lässt in einer lockeren Serie Kuratoren und Verantwortliche verschiedener internationaler Biennalen und Institutionen für zeitgenössische Kunst zu Wort kommen, die „unter Druck“ kuratieren müssen. Im aktuellen Beitrag berichtet Syafiatudina über die Arbeit von KUNCI, einem 1998 als Studenteninitiative gestarteten Kollektiv in Yogyakarta, Indonesien. Die engagierte Kuratorin hat eine klare Vorstellung von der Verantwortung kuratorischen Handelns: Raus aus der privilegierten Kunstblase!

Syafiatudina (geb. 1988 in Melbourne) ist Mitglied des KUNCI Cultural Studies Centers in Yogyakarta, Indonesien. KUNCI gilt in Indonesien als Pionier der Cultural Studies und organisiert regelmäßig künstlerische Forschung und Ausstellungen. Seit seiner Gründung im Jahr 1999 beschäftigt sich KUNCI intensiv mit der kritischen Produktion und Weiterverbreitung von Wissen mithilfe von Medienpublikationen, interdisziplinären Begegnungen, Forschungsarbeiten und künstlerischen Interventionen. 2015 war Syafiatudina Kurator in Residence der KfW Stiftung am Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main. Dort realisierte sie die Ausstellung „Gloves in Action“. 2016 kuratierte sie in Berlin das vierwöchige Rechercheprojekt „Open Space: Radio Kunci @ ifa-Galerie“.

Susanne Boecker: Syafiatudina, es geht in dieser Interview-Serie um das Thema „Curating Under Pressure“. Du hast ja 2015 an dem gleichnamigen Symposium in Christchurch, Neuseeland, teilgenommen: Was waren damals Deine Gedanken?

Syafiatudina: Als Kuratorin habe ich immer über die größten Herausforderungen heutiger kuratorischer Arbeit nachgedacht. Diese bestehen nicht nur darin, sich selber mit kuratorischer Theorie auszustatten oder über aktuelle kuratorische Produktionen informiert zu sein. Die hauptsächliche Verantwortung von Kuratoren liegt in der kritischen Situation, in der sich unsere Gesellschaft heute befindet. Unsere Hauptaufgabe ist es, verschiedene Möglichkeiten vorzuschlagen, wie man die Komplexität unserer Gegenwart verstehen kann, während man mit einem Fuß in der Vergangenheit steht und der andere bereit ist, in die Zukunft zu treten. In diesem Sinn war kuratorische Arbeit immer eine Aufgabe mit Zwängen und Druck.

Über die Gespräche während des Symposiums ist es uns gelungen, die verschiedenen Arten von Druck herauszuarbeiten, denen wir heute begegnen – als Kuratoren, als Künstler, als Kulturproduzenten, aber auch als Mitglieder der Gesellschaft. Seit dem Symposium in Christchurch ist das Erdbeben von 2011 zu einem wichtigen Ausgangspunkt geworden für die Diskussion darüber, wie Schäden durch Naturkatastrophen Traumata auslösen können. Die weitere Herausforderung ist es, diesen Moment – oder eine andere politische oder ökonomische Krise – dazu zu nutzen, um die Solidarität zwischen den Mitgliedern von Gemeinschaften zu konsolidieren.

Was bedeutet für Dich „Curating Under Pressure“ heute – insbesondere in Deiner Heimat Indonesien?

Der Druck oder die Belastungen, denen ich – ebenso wie Mitkuratoren, Künstler und Kulturproduzenten in Indonesien – ausgesetzt bin, sind die gleichen, die andere in anderen Teilen der Welt erleben: Den ökologischen Schaden, den die Förderindustrie verursacht, den Aufstieg des konservativen rechten Flügels (manche benutzen Religion für ihr öffentliches Erscheinen, andere wenden sich in chauvinistischem Geist feindlich gegen die „Anderen“), die starke Überwachung durch den Staat, die zunehmende Prekarität in der Wirtschaft sowie die große Kluft zwischen den nach Reichtum organisierten Klassen („reich“ und „arm“). Alle diese Probleme sind miteinander verknüpft und tauchen sowohl im lokalen als auch im globalen Maßstab auf – was es auch so schwierig macht, sie anzugehen. Unter diesen Bedingungen ist es leicht, die Hoffnung zu verlieren und die Umstände als gegeben hinzunehmen: So funktioniert die Welt heute.

Aber ich glaube, dass es die Hauptaufgabe aller Kuratoren und aller anderen intellektuellen und kulturellen Kräfte in allen Teilen der Welt ist, die radikale Vorstellung zu nähren, dass eine andere Welt möglich ist, indem man lokale und globale politische Projekte verbindet und kurzfristige mit auf lange Sicht angelegten Einsätzen verknüpft.

Die Kunst hat lange Zeit in ihrer privilegierten Blase gelebt und hat mit ihrem Kurs der kulturellen (Re-)Produktion die Bedürfnisse einer kleinen Gruppe bedient. Wir als Kuratoren müssen unser Privileg aufgeben, wir müssen unsere eigene Blase zum Platzen bringen. Wir dürfen uns nicht länger damit zufrieden geben, in der Kunstblase zu schwimmen, sondern müssen die Grenzen von Kunst und Kultur beständig ausweiten.

In Indonesien boomt die zeitgenössische Kunst. Es gibt sogar zwei Biennalen. Neben der Jakarta-Biennale findet in Deinem Wohnort Yogyakarta seit 2009 die Jogja Biennale statt. Welche Rolle spielen die Biennalen für die Kunst- und Kulturszene Indonesiens?

Die Jogja Biennale und die Jakarta Biennale haben beide großartige Momente der Begegnung zwischen Künstlern, Disziplinen, Diskursen und Intellektuellen geschaffen – und zwar sowohl in lokalen als auch in globalen Netzwerken. Wenn man den Umfang und das Prestige dieser Biennalen betrachtet, lässt sich feststellen, dass es beide geschafft haben, die öffentliche Anerkennung auf verschiedene Formen von Kunst zu lenken.

Übrigens sind dies ja nicht die einzigen Biennalen in Indonesien. 2015 gab es einige neue Biennalen, darunter die Makassar Biennale (Makassar ist die Hauptstadt von Süd Sulawesi und die fünftgrößte Stadt Indonesiens), und die Jatim Biennale (Jawa Timur Biennale oder East Java Biennale). Gerade habe ich erfahren, dass Ende 2016 die Jateng Biennale (Jawa Tengah Biennale oder Central Java Biennale) in Semarang stattfinden wird. Anscheinend hat man das Biennale-Format gewählt, um die lokale Kunstszene sowohl für ein lokales also auch für ein internationales Publikum zu promoten.

Sind die Biennalen unabhängig? Haben sie kritisches Potenzial?

Was organisatorische und künstlerische Entscheidungen anbetrifft, sind sowohl die Jakarta Biennale als auch die Jogja Biennale vollständig autonom, da sie von unabhängigen Stiftungen verwaltet werden. Beide Biennalen sind entstanden, weil lokale Kulturproduzenten, insbesondere aus der Szene der Bildenden Kunst, einen größeren, regelmäßig stattfindenden Event brauchten, der das aktuelle Interesse für die Kunst hervorheben und zugleich dringende zeitgenössische Gesellschaftsfragen thematisieren konnte. Daher haben sie auch kritisches Potenzial.

Um kritische Positionen zu fördern, müssen Biennalen meiner Ansicht nach jedoch ihre Position überdenken und nicht nur alle zwei Jahre als großes Spektakel daherkommen, das Geld, Energie und andere Ressourcen aufbraucht. Mich interessiert sehr, was Raqs Media Collective über Biennalen in Zeitlupe geschrieben hat (www.e-flux.com/journal/07/61387/earthworms-dancing-notes-for-a-biennial-in-slow-motion): Die Möglichkeit, Biennalen zeitlich auszudehnen, sie also nicht einmal in zwei Jahren stattfinden zu lassen, sondern über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg. Biennalen, die sich im Raum ausdehnen, bewegen sich durch die existierende oder schlafende Infrastruktur. Ich habe über Biennalen nachgedacht, die als Künstler-, Arbeiter- oder Studentenverbände funktionieren könnten. Mit ihrem umfangreichen internationalen und nationalen Netzwerk könnten die Biennalen die Unterstützung sichern, die notwendig ist, um einige der drängenden Probleme von Künstlern oder anderen Gemeinschaften zu lösen.

Du bist seit 2008 Mitglied von KUNCI in Yogyakarta. Bitte erkläre doch mal genau, was KUNCI ist und wie es funktioniert.

Der Begriff oder Name KUNCI bezeichnet sowohl eine Gruppe von Individuen, die zusammenarbeiten, als auch den Ort. Als KUNCI sind wir eine Gruppe von Forschern mit verschiedenem Ausbildungshintergrund. Uns eint die Affinität zum kreativen Experimentieren, zu spekulativen Untersuchungen und zur Arbeit an der Schnittstelle von Theorie und Praxis. Wir glauben an unsere eigenen, nicht-akademischen Forschungsmethoden. Für uns ist Forschung ein Weg, um uns selber zu verstehen und Emanzipation unter uns zu schaffen – sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene.

Wir haben kollaborative Projekte mit verschiedensten Teilnehmern durchgeführt: mit Studenten, Künstlern, Kindern, Teenagern aus verschiedenen Stadtvierteln, Architekten usw. Thematisch ging es um Familiengeschichten, Historie, um die Produktion und Reproduktion von öffentlichem Raum, um Technologie und Umgang mit den Medien. Aus diesen Forschungsprozessen heraus haben wir Ausstellungen, Publikationen, Versammlungen und Festivals entwickelt. Als physischer Ort unterhält KUNCI eine öffentliche Bibliothek, lädt zu allgemeinen Diskussionen ein und veröffentlicht Bücher, die Teil unserer Forschungs- und Übersetzungsprojekte sind.

Das Kollektiv ist 1999 als Studenteninitiative gestartet …

Wir wurden von den Aktivisten von Bulaksumur gegründet, das ist eine der wichtigsten Studentenzeitungen der Gadjah Mada Universität, Yogyakarta. Die Studentenzeitung und auch der universitäre Habitus haben die Art geprägt, wie wir Aktivitäten entwickelt haben, um diskursive Praktiken und intellektuelle Übungen zu ermöglichen - auf regionaler ebenso wie auf nationaler Ebene.

Newsletter, Website und die Mailing-Liste waren die hauptsächlichen Ventile unserer vergangenen Aktivitäten. Das war eine Reaktion auf die um sich greifende Zensur der Studentenpresse und anderer Formen „alternativer Medien“ vor der Indonesischen Reform 1998, die Präsident Soeharto und sein korruptes Regime nach 33 Jahren gestürzt hat. In der anschließenden Reform-Ära ging es darum, den ehemals unterdrückten und zum Schweigen verdammten Geschichten und Gemeinschaften Gehör zu verschaffen. ‚Stärkung der Gemeinschaft’, ‚Partizipation’ und ‚Geschichte von unten’ waren die Stichworte, die die Entwicklung unserer Organisation in jener Zeit geprägt haben.

Wie hat sich KUNCI entwickelt und welche Rolle spielt es heute innerhalb der Kunst/Kulturszene der Stadt?

Obwohl keiner von uns als Künstler arbeitet, ist Kunst ein wichtiger Aspekt unserer Forschungspraxis geworden. KUNCI ist als Zentrum für Kulturwissenschaften gestartet, weil die damaligen Gründungsmitglieder von der Entwicklung des Fachs, besonders durch das Birmingham Center for Cultural Studies in Großbritannien, fasziniert waren. Das Spannende war damals unter anderem zu sehen, wie die Kulturwissenschaften Themen aufgegriffen haben, die von der akademischen Welt in den späten 90er-Jahren relativ ignoriert wurden. KUNCI ist also entstanden als unserer ganz eigener Weg, um Kulturwissenschaft zu betreiben.

Mich selber hat insbesondere Stuart Hall’s Ansicht inspiriert, dass es wichtig ist, Kulturwissenschaften sowohl auszuüben als auch zu schreiben. Mir ist dieser Aspekt des praktischen Handelns anstelle des reinen Schreibens besonders wichtig.

In der Kunst- und Kulturszene von Jogja sind wir alle miteinander verbunden. Wir diskutieren die aktuellen und dringlichen Themen der lokalen und nationalen Politik, wir organisieren Projekte und Events, teilen unsere Arbeitsmethoden. Wir stellen jedem, der es braucht, einen Arbeitsraum und Zugang zu Hinweisen zur Verfügung.

Du hast einmal gesagt: „Mein Hauptinteresse liegt auf der kuratorischen Arbeit als Zusammenspiel von Theorie und Praxis, inklusive Denken und Handeln.“ Das klingt für mich sehr theoretisch.

Unter dem Zusammenspiel von Theorie und Praxis verstehe ich die Art und Weise, wie sich beide gegenseitig in nicht-linearer Weise prägen. Theorie kann für die Praxis Begriffe zur Verfügung stellen, die vorher nicht sichtbar waren. Praxis kann Theorie – die immer noch notwendig ist als unser Weg, die Welt zu verstehen - formen oder umformen oder auch neu formen. Vielleicht ist Zusammenspiel nicht der richtige Begriff. Tanz passt vielleicht besser. Der Tanz von Theorie und Praxis. Aber es war schon immer ein Thema für uns, wie man sich zeigen kann, dass es sich noch echt für einen selbst anfühlt und zugleich für die anderen verständlich ist.

Ein Beispiel dafür ist mein letztes Projekt mit Radio KUNCI, das im April 2016 in der ifa-Galerie in Berlin gestartet ist. Wir fühlen uns alle recht vertraut mit der Idee des Teilens. Aber wenn man sich diesem Thema über Sound, Diskussion und den Begriff des Parasitären als möglicher Form geteilten Wohnens annähert, wird es komplizierter. Das bedeutet nämlich die Überschreitung öffentlicher und privater Sphäre. Das vergessen wir oft, wenn wir über das Teilen reden. Das ist also ein Beispiel dafür, wie Praxis und Theorie zusammen tanzen und vorgefertigte Begriffe zerstören können. Als ich in Deutschland war, habe ich oft darüber nachgedacht, wie streng dort die Grenzlinien zwischen Leben und Arbeit, zwischen institutionellen Bereichen, zwischen öffentlicher und privater Sphäre gezogen sind. Ich denke, dass der Mangel an mehrdeutigen Räumen die Möglichkeit improvisierter Lebens- und Arbeitsformen begrenzt.

Mit Deiner Arbeit möchtest Du auch zum sozialen und politischen Wandel beitragen. Das ist ein hoher Anspruch. Was möchtest Du ändern - und wie versuchst Du das?

Ich möchte viele Dinge in dieser Welt ändern. Ich bin nicht damit zufrieden, wie unsere Welt heute agiert. Das ist ein ziemlich hoher Anspruch, aber der ist nötig, wenn wir denken wollen, dass eine andere Welt möglich ist. Dass eine andere Art des Lebens möglich ist. Dass Liebe nach allem nicht unmöglich ist. Ich mag hier sehr hoffnungsvoll klingen, aber dieser Glaube treibt mich an, meine Arbeit weiter zu machen. Hier spielen Kunst und Kultur meiner Ansicht nach eine wichtige Rolle. Kunst und Kultur sollten unsere kollektiven Vorstellungskräfte zurückfordern, die heute durch die Instrumentalisierung von Religionen durch regierende Gruppen und enge nationalistische Ansichten übersättigt sind. Dieses Ziel ist der erste Schritt hin zur Änderung oder der Möglichkeit von Veränderung. Lass uns in zehn Jahren noch einmal reden – vielleicht habe ich dann konkretere Maßnahmen, über die ich Dir berichten kann.