Borneo: Die Lunge der Erde
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Der Regenwald in Indonesien schrumpft dramatisch, weil Bauern und Konzerne die Flächen als Ackerland nutzen wollen. Vier Aktivisten kämpfen dagegen, mit ganz unterschiedlichen Methoden: von den bloßen Händen bis zum Smartphone.
Eine Multimedia-Story von der Insel Borneo von Jacopo Ottaviani (Text) und Isacco Chiaf (Fotos/Videos)
"Ich weiß, dass das Feuer nächstes Jahr zurückkommt. Ich weiß auch, dass wir nicht die richtige Ausrüstung haben, um es zu bekämpfen, und dass wir das Feuer mit unseren bloßen Händen dagegen vorgehen müssen. Aber das ist egal: Wir werden es bekämpfen. Unser Geist ist der Geist des Waldes." Wenn er von dem Wald spricht, in dem er geboren wurde, dem Wald, in dem er aufgewachsen ist, hat Basuki Budi Santoso Tränen in den Augen.
Mit den wenigen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, versuchen Santoso und sein kleines Team den Tanjung Puting Nationalpark vor den Flammen zu beschützen, die ihn regelmäßig bedrohen. Der Park liegt im südlichen Teil der Insel Borneo. Er war von den schweren Waldbränden betroffen, die Indonesien im Jahr 2015 heimgesucht haben.
Wochenlang fraßen sich die Flammen durch die Landschaft und verwandelten zwischen September und November schätzungsweise rund 1,7 Millionen Hektar Wald in Asche. Die Inseln Sumatra und Borneo waren besonders betroffen. Der dichte weiße Rauch war sogar auf Satellitenfotos zu sehen.
Satellitenbild: Waldbrände auf Sumatra und Borneo 2015
Der Wald in Indonesien schrumpft dramatisch. Von 1990 bis 2015 sind laut Uno mehr als 27 Millionen Hektar Waldfläche verloren gegangen. Setzt sich die Entwicklung in diesem Tempo fort, steht in 80 Jahren in Indonesien kein einziger Quadratmeter Wald mehr.
Eine häufige Ursache der Brände: der Mensch. "Feuer ist der billigste Weg, um Wald in Ackerland umzuwandeln" sagt Peter Holmgren, Leiter des Zentrums für internationale Waldforschung in der Nähe der indonesischen Hauptstadt Jakarta. "Besitzer großer Plantagen können die Brände genauso verursachen wie Kleinbauern, die ihre eigene Parzelle mit traditionellen Methoden bewirtschaften."
Doch es gibt auch Menschen, die sich den Flammen und Kettensägen in den Weg stellen. SPIEGEL ONLINE erzählt die Geschichten von vier Kämpfern für den Regenwald. Vier Menschen, die mit unterschiedlichsten Mitteln gegen die Entwaldung angehen - von den bloßen Händen über Drohnen bis hin zum Smartphone. Vier Menschen, die einen einzigartigen Lebensraum retten wollen.
In der Hitze des Gefechts
Um zu Basuki Budi Santosos Basislager zu kommen, muss man auf dem Fluss Kumai fahren. Ein kleiner Anleger führt zu einem Pfad durch den Wald, wo Sonnenstrahlen durch die feuchte Luft fallen und wo das Wasser der Flüsse die Farbe von schwarzem Tee hat. Nach einigen Stunden Fußmarsch erreicht man das Beguruh-Wiederaufforstungsgebiet. Hier kämpfen Santoso und seine Männer dafür, den Wald wieder zum Leben zu erwecken.
Die Männer ruhen sich für eine Weile im Schatten eines Holzschuppens aus. Ein paar Hängematten, ein Gaskocher, um Kaffee zu kochen, eine Dusche unter freiem Himmel. Einige Meter entfernt sind im Schatten Töpfe aufgereiht. Sie enthalten die Setzlinge. "Das ist unser Pflanzenkindergarten. Hier pflegen wir die Bäume, die nachher auf den abgebrannten Flächen wachsen sollen", sagt Santoso.
Video: Der Kampf gegen die Flammen
"Das Feuer kommen jedes Jahr mehrmals zurück. In der Trockenzeit ist es besonders schlimm. Und das Feuer lodert weiter, auch wenn man glaubt, dass es aus ist. Denn das Feuer brennt unterirdisch im Torf weiter", erklärt Santoso.
"Wenn das Feuer ausbricht, löschen wir pausenlos. Nachts schlafen wir reihum nur wenige Meter von den Flammen entfernt. Es kann vorkommen, dass jemand im Rauch erstickt. Haben wir mal eine Pause, pflanzen wir die kleinen Bäume ein - und bereiten uns auf den nächsten Kampf vor."
Santoso verbringt den Großteil des Jahres im Dschungel von Borneo. Er koordiniert die Löscharbeiten und die Wiederaufforstung. Mit seinem Gehalt kann er zweimal im Jahr nach Jakarta fliegen, wo seine Frau und seine beiden Kinder leben.
Wo der Wald schrumpft
Von 1990 bis 2015 sind weltweit rund 130 Millionen Hektar Wald verloren gegangen - zerstört von Kettensägen, Feuer oder Zement. Die Entwaldung schreitet laut Uno-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO in atemberaubendem Tempo voran: Pro Minute verschwinden heute durchschnittlich sechs Hektar Wald, das sind etwa acht Fußballfelder. Meistens ist der Mensch Schuld daran, der die Wälder für die Landwirtschaft oder den Städtebau abholzt.
Insgesamt sind in den vergangenen Jahren weniger Wälder gerodet worden als noch in den Neunzigerjahren. Manche Regionen wie China oder Europa haben sogar größere Waldflächen. Diese Entwicklung ist vor allem Wiederaufforstungsprogrammen zu verdanken.
Allerdings sieht es in anderen Gebieten - wie den Tropen - ganz anders aus: Hier bedroht der Mensch den Waldbestand. So schrumpft der Regenwald im Amazonas, im Kongobecken und Südostasien jedes Jahr.
Allein in Indonesien wurden im Jahr 2015 laut Global Fire Data mehr als 120.000 Brände verzeichnet. Dabei sind fast zwei Milliarden Tonnen Treibhausgase freigesetzt worden - mehr als Industrieländer wie Deutschland oder Japan in einem ganzen Jahr produzieren.
Riesige Rauchwolken zogen bis nach Malaysia, Singapur und Thailand. 43 Millionen Menschen atmeten die giftigen Gase ein. Die indonesische Behörde für Meteorologie, Klimatologie und Geophysik bezeichnete das Feuer als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".
Doch Waldbrände sind letztlich ein globales Problem. "Laut Nasa und Global Fire Database gehen jedes Jahr 4,5 Millionen Hektar Regenwald in Flammen auf", sagt Guido van der Werf, Wissenschaftler an der Freien Universität Amsterdam. "Fast alle Brände in tropischen Gegenden werden von Menschen gelegt. In gemäßigten Klimazonen verzeichnen wir sowohl natürliche Feuer, als auch von Menschen gelegte Brände. Und in der Taiga entstehen die meisten Feuer durch Blitzschlag."
Die Wälder absorbieren ebenso wie die Meere riesige Mengen Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Daneben beherbergen sie 80 Prozent aller Tier-, Insekten- und Pflanzenarten, die an Land vorkommen. Diese "Lungen der Erde" zu beschützen, ist also zentral - um die Biodiversität auf dem Planeten zu erhalten und die Erderwärmung zu bekämpfen.
Die Augen des Himmels
"Die Hardware für die Drohne kostet etwa 2000 US-Dollar, die Software zum Fliegen ist kostenlos und Open Source", sagt Keeyen Pang, Asien-Chef der Organisation Conservation Drones. Sein Sohn macht währenddessen eine kleine Drohne startklar und programmiert den Flug. "Alles, was man braucht, ist eine kleine Kamera an der Drohne und schon bekommt man eine hochaufgelöste Aufnahme des Waldes", sagt Pang.
"Unsere Drohnen sind ein günstiges und effektives Mittel gegen die Entwaldung und für den Erhalt der Natur", sagt Lian Pin Koh, Professor für angewandte Ökologie an der Adelaide Universität. Zusammen mit dem Schweizer Biologen Serge Wich hat Lian Pin Koh Conservation Drones gegründet. Die gemeinnützige Organisation macht Umweltschützer und Ökologen vor allem in Entwicklungsländern mit der Handhabung und Technik der Geräte vertraut.
Video: Mit der Drohne der Abholzung auf der Spur
"Seit 2012 haben wir viele Umweltschutzorganisationen mit Drohnen ausgestattet, um damit über schwer erreichbare Gegenden zu fliegen und ihren Zustand zu protokollieren. Die Technik muss günstig sein, vor allem in Entwicklungsländern", sagt Lian Pin Koh.
Die Drohnen der Organisation fliegen über Tansania, um die Schimpansen-Population zu kontrollieren. Sie fliegen über Surinam, um den Urwald zu überwachen. Sie fliegen über Indonesien, um den Zustand der gefährdeten Orang-Utans zu dokumentieren. Und sie fliegen im Rest von Südostasien, um Palmölfelder zu kartieren - eine der Hauptursachen für die Entwaldung in der Region.
Drohnenbild: Vorher und Nachher
Die Flugmissionen hatten bereits erste Erfolge. "2014 haben wir eine illegal abgeholzte Fläche in einem Naturschutzgebiet auf Sumatra entdeckt", erzählt Lian Pin Koh stolz. "Unsere Bilder dienen den indonesischen Behörden jetzt als Beweismittel und die Täter stehen vor Gericht."
Die vergessenen Bären
In einem abgelegenen Teil des Regenwalds im malaysischen Teil Borneos am nordöstlichen Ende der Insel arbeitet ein kleines Team von Zoologen an der Rettung eines kaum bekannten Tiers: dem Malaienbären, auch Sonnenbär genannt. Das Bornean Sun Bear Conservation Centre ist nach eigenen Angaben die einzige Einrichtung der Welt, die sich aktiv der Rettung gefangener Sonnenbären und deren Erhalt verschrieben hat.
Video: Sonnenbären im Regenwald
"Nur wenige Menschen können sich vorstellen, dass diese Bären auch im Regenwald leben, deshalb haben wir ihnen den Spitznamen die vergessenen Bären gegeben", sagt Tee Thye Lim. Er ist im Centre für die Bären zuständig, die aus der Gefangenschaft befreit wurden. "Obwohl diese Bären nicht sonderlich gut bekannt sind - oder vielleicht gerade deshalb - sind sie vom Aussterben bedroht. In den vergangenen 30 Jahren ist die Population um rund 30 Prozent zurückgegangen."
Dafür gibt es drei Gründe:
In einigen Regionen Südostasiens werden Jungbären gefangen und als Haustiere gehalten - nur um sie wieder auszusetzen, sobald sie größer werden.
In der chinesischen Medizin werden der Gallenblase der Tiere heilende Wirkung zugeschrieben. Die Pranken der Bären sind eine teure Delikatesse. Deswegen werden sie illegal gejagt.
Dazu kommt die Abholzung des Regenwalds, was den Tieren ihren natürlichen Lebensraum nimmt.
Stirbt der Sonnenbär aus, führt das zu einer Kettenreaktion im Ökosystem Regenwald. "Pflanzen und Tiere leben in einer Gemeinschaft und das Entfernen einer Art zerstört die Balance des Dschungels. Die Sonnenbären sind wahre Ingenieure des Waldes", sagt Tee Thye Lim. "Wenn sie nach Honig suchen, kerben sie kleine Hohlräume in die Baumstämme ein. Darin finden wiederum andere Tiere Unterschlupf. Der Doppelhornvogel nutzt sie zum Beispiel für den Nestbau."
Der Sonnenbär aus Borneo ist nur eine von vielen bedrohten Arten weltweit. Die Rote Liste der Weltnaturschutzorganisation IUCN zählt derzeit rund 24.000 solcher Pflanzen und Tiere. Dazu könnten noch viele weitere kommen, denn nicht jede Art auf der Erde wurde schon von Artenforschern untersucht.
Arten auf der Roten Liste
Die Zerstörung natürlicher Lebensräume, die kommerzielle Ausbeutung von Land, Umweltverschmutzung und der Klimawandel sind die Hauptgründe für den weltweiten Verlust von Biodiversität.
"Wir sind mitten in einer Biodiversitätskrise. Wir verlieren jedes Jahr rund tausend Tiere- und Pflanzenarten", sagt Henrique Pereira, Forschungsleiter am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig. "Biodiversität ist wesentlich für das Gleichgewicht des Planeten, aber genauso für die Gesundheit der Menschen. Die Inhaltsstoffe vieler Medikamente stammen beispielsweise von Tieren und Pflanzen. Jedes Mal, wenn eine Art ausstirbt, verlieren wir die Chance, neue Inhaltsstoffe zu entdecken, die wir nutzen könnten."
Die Wächter des Waldes
Ein gebrauchtes Smartphone, befestigt an einem Baumstamm im Regenwald, betrieben mit Solarzellen und ausgestattet mit einem Mikrofon, das dauerhaft in den Wald horcht: Das ist das Konzept der "Rainforest Connection". Mit dem Gerät will Erfinder Topher White, Ingenieur und Physiker aus San Francisco, die Wälder des Planeten retten.
Video: Ein Smartphone im Baum
"Tophers Gerät ermöglicht es, von überall auf der Welt die Geräusche des Regenwalds zu hören", sagt James Reed. Eingespannt in seine Kletterausrüstung hantiert er mit einer Plastikkiste und einer Antenne. "Ich bin hier, um Topher zu helfen, die Geräte im Regenwald von Borneo anzubringen. Und gleichzeitig bringe ich den Einheimischen bei, wie sie sicher die Bäume hochklettern können. Dann können sie in Zukunft die Geräte selbst installieren."
Die "Rainforest Connection" funktioniert so: Das Gerät überträgt alle Geräusche per Internet an einen Server. Erkennt der Computer ein ungewöhnliches Geräusch, beispielsweise einen Schuss oder eine Kettensäge, schickt er automatisch eine Nachricht an die zuständige Behörde. Diese kann dann gegen illegale Abholzung oder Wilderei vorgehen.
"Wir testen die Rainforest Connection in allen tropischen Regenwäldern auf der Welt", sagt Erfinder Topher White. "Unser Ziel ist es, mit der Technik innerhalb der kommenden zwei Jahre 20 bis 30 Millionen Hektar Wald zu schützen." White selbst verbringt die Hälfte des Jahres in seinem Labor in San Francisco und die andere Hälfte in unterschiedlichen Wäldern der Welt.
"Die Zusammenarbeit mit den lokalen Gemeinden und Naturschützern ist für uns zentral", sagt White. Nach seinen Angaben kann ein einzelnes Gerät eine Kettensäge in einem Gebiet von rund drei Hektar erkennen. Platziert man diese an strategisch günstigen Punkten, könnten so leicht große Flächen überwacht werden.
Die Idee für den Aufbau kam White im Regenwald. "2011 war ich auf Borneo unterwegs. Mitten im Dschungel stießen mein Führer und ich auf ein Areal, das illegal abgeholzt worden war. Der Führer erklärte, wie schwer es sei das zu stoppen, obwohl bereits Ranger im Gebiet unterwegs seien. So kam ich auf die Idee, ein einfaches Smartphone mit einer Internetverbindung in einen Wächter des Waldes zu verwandeln. Und genau das habe ich in den vergangenen Jahren probiert."
Forscher können die Telefone auch nutzen, um die Bewegungen von Tieren zu erforschen oder den Rhythmus des Ökosystems zu verstehen. Oder sie können als Radio aus dem Regenwald dienen - ein Orchester des Waldes direkt im Sessel zu Hause. "Wir haben neuerdings ein Internetradio eingerichtet, mit dem jeder auf der Welt von überall live die Geräusche des Waldes hören kann", sagt White. Die einzige Bedingung dafür: Man muss vorher einen kleinen Geldbetrag für die Rainforest Connection spenden.
Vier Menschen mit ganz unterschiedlichen Ideen, sie alle haben dasselbe Ziel: Sie wollen den Regenwald auf Borneo und die Tiere, die in ihm leben, retten. Weltweit gesehen geht die Entwaldung heute nicht mehr so schnell voran wie noch in den Neunzigerjahren. "Das sind zwar gute Nachrichten", sagt Forscher Holmgren. "Aber in einigen Regionen wie Brasilien, Zentralafrika und auch Indonesien verlieren wir Wald in beängstigender Geschwindigkeit."
Autor: Jacopo Ottaviani
Fotos und Videos: Isacco Chiaf
Videoschnitt: Alberto Abbate
Redaktion: Holger Dambeck und Jule Lutteroth
Dokumentation: Almut Cieschinger
Schlussredaktion: Petra Maier
Programmierung und Grafiken: Chris Kurt, Michael Niestedt, Isacco Chiaf und Philipp Seibt
Koordination: Anna Behrend, Philipp Seibt und Christina Elmer
Diese Reportage ist Teil des Projekts Expedition #ÜberMorgen.
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